Ein Drahtseilakt:
Europa zwischen Gesundheitsaktionismus und Unsicherheit


Angesichts wachsender Spannungen nehmen die Europäer ihre Gesundheit selbst in die Hand. Doch der Weg zum Wohlbefinden ist holprig: Ein hoher Anteil selbstattestierter guter körperlicher Gesundheit geht einher mit einer hohen Anzahl von Europäern, die sich als übergewichtig bezeichnen. Erhebliche Teile der Bevölkerung investieren in oder interessieren sich für Produkte und Verfahren zur Verbesserung ihres Aussehens, was die komplexe Beziehung zwischen Körperbild und Selbstvertrauen unterstreicht. Körperliches und mentales Wohlbefinden sowie das individuelle Glücksempfinden sind eng miteinander verbunden und müssen sorgsam austariert werden – Frauen sind besonders gefährdet, dabei auf der Strecke zu bleiben.

Mehrheit der Europäer mit „ungesundem“ BMI

Etwas mehr als die Hälfte der Europäer (54) gibt an, körperlich fit zu sein. Die Menschen in Usbekistan (71), Österreich (68), Rumänien (67) und der Schweiz (66) fühlen sich diesbezüglich besonders gut. Etwas mehr als ein Drittel der Europäer (35) bezeichnet seine körperliche Gesundheit als „mittelmäßig“ und 11 Prozent als „schlecht“ – allen voran die Menschen in Schweden und Ungarn (je 22) sowie in Tschechien (18). Es scheint einen klaren Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen körperlichen und mentalen Gesundheit und dem allgemeinen Glücksempfinden zu geben: Diejenigen, die von einer schlechten mentalen Gesundheit und einem unterdurchschnittlichen Glücksempfinden berichten, bewerten ihre körperliche Gesundheit auch deutlich schlechter als diejenigen mit einer guten mentalen Gesundheit (70 vs. 17) und einem höheren Glücksempfinden (68 vs. 17).

Wenngleich kontrovers diskutiert, ist der Body-Mass-Index (BMI) nach wie vor ein gängiges Instrument zur Berechnung des Idealgewichts. Er kalkuliert einen numerischen Wert, indem er das Körpergewicht einer Person zu ihrer Körpergröße in Beziehung setzt. Im Vergleich zu der knappen Mehrheit der Europäer, die sich selbst als körperlich fit einschätzen, bezeichnen nur 40 Prozent ihren BMI als „gesund“. Menschen in Usbekistan (52), Italien (48) und Frankreich (46) fallen besonders häufig in diesen Bereich. Frauen (45) geben häufiger einen gesunden BMI an als Männer (34). Etwas mehr als ein Drittel (35) der Europäer würde gemäß BMI als übergewichtig gelten, und weitere 17 Prozent fallen in die Kategorie „fettleibig“ mit einem BMI von 31 und mehr.

1 in 5 Europäern mit seinem Aussehen unzufrieden

Vor diesem Hintergrund ist etwa ein Drittel der Europäer (29) weder zufrieden noch unzufrieden mit seinem Aussehen, während ungefähr die Hälfte der Europäer (49) zufrieden mit ihrer körperlichen Erscheinung ist. Die Menschen in Usbekistan (78) und in den Niederlanden (67) sind am selbstbewusstesten, was ihr Aussehen angeht. Die Mehrheit derjenigen, die sich mit ihrem Aussehen wohlfühlen, sagen, dass sie sich einfach so akzeptieren, wie sie sind (63). Andere sind entweder der Meinung, dass sie mit gutem Aussehen gesegnet sind (23) oder sind stolz auf ihren Körperbau (23). 16 Prozent geben an, dass externe Bestätigung in Form von Komplimenten ihnen hilft, sich gut zu fühlen, und 15 Prozent sagen, dass sie hart für ihren Körper gearbeitet haben. Mehr als einer von vier Europäern (28) gibt außerdem an, dass die Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen mit dem Alter zugenommen hat.

Übergewicht und Selbstvergleiche machen unglücklich

Etwa einer von fünf Europäern (21) gibt an, mit seinem Körper unzufrieden zu sein. In Rumänien (35), Kasachstan und Irland (jeweils 31) sind die Menschen am wenigsten mit ihrem Aussehen zufrieden. Auch Frauen (46) sind im Vergleich zu Männern (53) seltener zufrieden mit ihrem Aussehen. Die häufigsten Gründe für diese Unzufriedenheit sind Übergewicht (49) und die Tatsache, dass andere Menschen einfach als attraktiver wahrgenommen werden (23). Es scheint ein generelles Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in Bezug auf Selbstwahrnehmung und Zufriedenheit zu geben: Obwohl sie im Durchschnitt einen gesünderen BMI als Männer haben, geben Frauen (55) deutlich häufiger als Männer (40) an, dass sie sich selbst als übergewichtig empfinden und deshalb mit ihrem Körper unzufrieden sind. Frauen im Alter von 18 bis 34 Jahren sind besonders hart zu sich selbst: 51 Prozent von ihnen glauben, dass sie übergewichtig sind, und 38 Prozent vergleichen sich regelmäßig mit anderen, z. B. in den sozialen Medien. Im Vergleich dazu machen sich nur 28 Prozent der Männer in dieser Altersgruppe Sorgen um ihr Gewicht, und 21 Prozent fühlen sich durch die Art und Weise, wie andere sich online präsentieren, unter Druck gesetzt.

NEM für viele Europäer wichtigste Investition zur Unterstützung des Erscheinungsbildes

Angesichts der Tatsache, dass fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung mit ihrem Aussehen unzufrieden ist und erhebliche Unsicherheiten in Bezug auf ihr Körperbild verspürt, stellt sich die Frage, was den Europäern ihr Aussehen im wahrsten Sinne des Wortes wert ist. Um ihr Aussehen zu optimieren geben derzeit 37 Prozent bzw. 18 Prozent der Europäer etwas Geld oder sogar beträchtliche Summen für Vitamine und Mineralstoffe aus. Auf Platz zwei folgen allgemeine Gesundheitsprodukte, die von 54 Prozent gekauft werden, um ihr Aussehen zu verbessern. Kosmetische Produkte wie Make-up, Feuchtigkeitscremes und dergleichen werden von 52 Prozent der Europäer insgesamt gekauft, und von 71 Prozent der Frauen. Mitgliedschaften in Fitnessstudios oder Sportvereinen und die dazugehörige Ausrüstung werden von Männern (29) und Frauen (26) fast gleich häufig genannt. 

Frauen offener als Männer für Schönheitsbehandlungen

Während nur zwei Prozent der Europäer derzeit Geld für plastische Chirurgie ausgeben, hat ein erheblicher Anteil von ihnen zumindest schon einmal mit dem Gedanken gespielt, größere und invasivere Maßnahmen zur Verbesserung des Aussehens zu ergreifen. Vergleicht man die 8 Prozent der Europäer, die sich einer ästhetischen Zahnbehandlung unterzogen haben – dem begehrtesten kosmetischen Eingriff auf dem gesamten Kontinent – mit den 58 Prozent, die eine solche Behandlung in Erwägung ziehen würden, wenn sie kostenlos wäre, so wird deutlich, dass Kosten ein starker Hemmfaktor sind. 38 Prozent der Europäer würden auch eine Laser-Haarentfernung in Betracht ziehen, besonders in der Slowakei (48). Knapp jeder vierte Europäer (23) kann sich vorstellen, sich einer OP zur Gewichtsreduktion oder allgemeiner plastischer Chirurgie zu unterziehen, wobei die Österreicher (37) für letztere am offensten sind. Während mehr Männer eine Haartransplantation in Erwägung ziehen würden (23 gegenüber 16), liegen die Frauen bei allen anderen Maßnahmen vorn: 61 Prozent der Frauen würden sich einer ästhetischen Zahnbehandlung unterziehen (55 Männer), 52 Prozent würden Laser-Haarentfernung in Betracht ziehen (24 Männer), 30 Prozent sind offen für plastische Chirurgie (15 Männer). Außerdem würden 29 Prozent der Frauen eine Operation zur Gewichtsreduzierung in Betracht ziehen (17 Männer), und 28 Prozent könnten sich vorstellen, Botox oder Filler zu verwenden (10 Männer). Trotz aller Bemühungen, unrealistische Schönheitsideale zu überwinden, scheint es, dass sich Frauen nach wie vor gezwungen fühlen, bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen – egal, ob dieser Zwang selbstauferlegt ist oder von außen kommt.

Selbstverwirklichung stärkere Motivation als sozialer Druck

Die Motivation für Körpermodifikationen wird jedoch hauptsächlich durch individuelle Interessen bestimmt und nicht durch den Wunsch, anderen zu gefallen: 45 Prozent der Europäer geben an, dass sie sich einem Eingriff unterziehen würden, um sich in ihrem Körper wohler zu fühlen, und 41 Prozent sind überzeugt, dass solche Eingriffe ihr Selbstvertrauen stärken könnten. Weitere 28 Prozent würden sich behandeln lassen, um Alterserscheinungen rückgängig zu machen, während 25 Prozent davon überzeugt sind, dass sie sich dadurch mehr „wie sich selbst“ fühlen würden. Nur 10 Prozent würden einen Eingriff erwägen, um gesellschaftlich mehr Akzeptanz zu erfahren, und 8 Prozent, um ihren Partner glücklich zu machen.

Die allgemeine Einstellung zum Thema körperliches Aussehen, Selbstvertrauen und sozialer Einfluss ist widersprüchlich. 77 Prozent der Europäer stimmen zu, dass in Gesellschaft und Medien zu viel Wert auf Aussehen gelegt wird, und 71 Prozent glauben, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, wenn es darum geht, verschiedene Arten von Schönheit zu akzeptieren. 59 Prozent stimmen auch zu, dass der Status einer Person durch ihr Aussehen bestimmt wird, und 56 Prozent fordern strengere Vorschriften und mehr Transparenz bei Filtern, die in sozialen Medien verwendet werden. 54 Prozent sind sogar der Meinung, dass plastische Chirurgie nur in extremen Fällen und nicht zur Erreichung eines bestimmten Schönheitsideals eingesetzt werden sollte. Obwohl die Europäer den gesellschaftlichen Schönheitszwang durchschauen, sind sich 36 Prozent sicher, dass sich ihre mentale Gesundheit deutlich verbessern würde, wenn sie mit ihrem Aussehen zufriedener wären.

 

Europäer nehmen ihre Gesundheit selbst in die Hand

Angesichts der Unzufriedenheit mit den Gesundheitssystemen, der mentalen Probleme und des geringen körperbezogenen Selbstbewusstseins fühlen sich die Europäer dennoch motiviert, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen.

89 Prozent der Europäer gehen derzeit Aktivitäten nach, die ihr allgemeines Wohlbefinden fördern. Körperliche Bewegung ist dabei am beliebtesten: einer von zwei Europäern bewegt sich regelmäßig. Die aktivsten Europäer finden sich in Finnland (66), Spanien (62) und Italien (60). Es liegt zwar auf der Hand, dass die Mehrheit derjenigen, die Sport treiben, dies tut, um sich körperlich besser zu fühlen (87), aber auch die Verbesserung der mentalen Gesundheit ist für 60 Prozent ein starker Motivationsfaktor – und für Frauen (63) noch mehr als für Männer (57).

Der STADA Health Report 2023 hat bereits einen Mangel an Gesundheitsprävention in Europa aufgezeigt. Viel hat sich seitdem nicht verändert, denn nur 33 Prozent der Europäer betrachten Vorsorgetermine als Teil ihrer persönlichen Gesundheitsroutine. Am ehesten nehmen die Menschen in Tschechien (56), Deutschland und der Slowakei (je 48) Vorsorgeuntersuchungen wahr.

Gesunde Ernährung wird wegen körperlicher und mentaler Benefits geschätzt

Auf Platz zwei folgt gesunde Ernährung – 49 Prozent der Europäer geben an, sich ausgewogen zu ernähren. Neben Italien (67) sind die Niederlande und Spanien (je 68) nach eigenen Angaben die Vorreiter in Sachen gesunde Ernährung. Und die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen: 83 Prozent geben an, dass sie sich gesund ernähren, um sich körperlich besser zu fühlen. 50 Prozent sagen sogar, dass gutes Essen förderlich für ihre mentale Gesundheit ist. Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel werden von 32 Prozent der Europäer eingenommen, am häufigsten in Tschechien (51), der Slowakei (50) und Polen (44).

Soziale Beziehungen stärken die mentale Widerstandsfähigkeit

Regelmäßige Zeit mit Freunden ist für jeden dritten Europäer (31) ein wichtiger Stimmungsaufheller. 79 Prozent von ihnen geben an, dass gemeinsame Aktivitäten ihr mentales Wohlbefinden deutlich verbessern. Insgesamt sind Frauen interessierter an Aktivitäten, die ausdrücklich auf das psychische Wohlbefinden abzielen (42) als Männer (36), ebenso wie stressreduzierenden Beschäftigungen wie Meditation (21 vs. 15) und legen mehr Wert auf Zeit mit Familie und Freunden (34 vs. 28 Männern).

Forderung nach gezielten Maßnahmen zur Förderung gesunder Entscheidungen

Es ist lobenswert, dass die Europäer Zeit, Geld und Mühe investieren, um ihre Gesundheit zu fördern – jedoch könnte zusätzliche Unterstützung von außen das Puzzle auf dem Weg in eine noch gesündere Zukunft komplettieren. Um ihr Wohlbefinden weiter zu verbessern, nannten 65 Prozent der Europäer unter den drei wichtigsten Vorschlägen für externe Unterstützung „Ernährungsratschläge, um den Konsum von Zucker, Fett usw. zu reduzieren“ – sie wünschen sich also, dass man es ihnen von vornherein leichter macht, gesunde Entscheidungen zu treffen. 61 Prozent der Befragten würden es sehr begrüßen, wenn sie jeden Monat für einen Self-Care-Tag von der Arbeit oder Schule freigestellt würden. Etwas mehr als die Hälfte der Europäer (51) würde gerne Rabatte bei ihrer Krankenversicherung erhalten, ebenso viele wünschen sich dies auch für andere Aktivitäten, die zum Wohlbefinden beitragen, wie die Mitgliedschaft im Fitnessstudio. Bonusprogramme oder Anreize von Krankenversicherungen, die es teilweise bereits gibt, gehören für 43 Prozent ebenfalls zu den wichtigsten Maßnahmen.